Genozid machte sie zu Feinden - heute sind sie Freunde
Andrew Birasa und Callixte Karemangingo wachsen
als Freunde in Ruanda auf. Doch dann beginnt der Völkermord – Callixte gehört
zu den Mördern, welche die Familie von Andrews Frau Madrine umbringen. Andrew
selbst zeigt Callixte an und bringt ihn hinter Gitter. Wie kommt es, dass sie
heute wieder Freunde sind?
Callixte Karemangingo (links) und Andrew Birasa
Andrew Birasa und Callixte
Karemangingo waren von klein auf Nachbarn und gute Freunde. Gemeinsam wuchsen
sie in einem Dorf Ruandas auf. «Sein Vater war ein enger Freund meines Vaters»,
erinnert sich Andrew. Callixte bewunderte den acht Jahre älteren Andrew. «Er
verkaufte Erdnüsse und Kekse und ich kam immer zu ihm, um ihm Sachen
abzukaufen. Er war ein sehr guter Mensch.» Alle Bewohner des Dorfes lebten
friedlich miteinander, ohne Konflikte, wie eine grosse Familie – bis der
Genozid begann.
Aus Freundschaft wird Hass
Durch Medien und Politiker
aufgeputscht, begann die Hutu-Mehrheit 1994, gegen die Tutsi-Bevölkerung
vorzugehen. Hunderttausende flüchteten in die Nachbarländer, bis zu einer
Million Tutsi wurde brutal ermordet. Dazu gehörte auch die Familie von Andrews
Frau Madrine – sie selbst schaffte es, sich zu verstecken, doch ihre Eltern und
fünf Geschwister wurden ermordet. Unter den Mördern befand sich Callixte.
Andrew erinnert sich: «Ich hasste ihn. Von der Familie meiner Frau war niemand
mehr übrig…»
Nach 100 Tagen wurde das
Morden durch den Sieg der Rebellenarmee RPF beendet. Jetzt wurden die
schuldigen Hutu verurteilt. Andrew selbst zeigte seinen ehemaligen Freund an,
sagte als Zeuge gegen ihn aus und brachte ihn hinter Gitter. Zwölf Jahre
verbrachte Callixte dort.
Arbeiten mit der Erzfeindin
Madrine (links) und Marcela sind heute wieder Freundinnen.
Im Land begann der
Prozess der Versöhnung. Dazu beigetragen haben auch diverse christliche
Organisationen, darunter World Vision International. Eine Strategie war, in
Projekten bewusst Hutu und Tutsi zusammenarbeiten zu lassen und somit
jeden Tag Versöhnung auszuleben. Genau das geschah auch mit Madrine und
Callixtes Frau Marcella, die durch die Inhaftierung ihres Mannes nun mit zwei
kleinen Kindern alleingelassen war.
Die beiden Frauen wurden von World Vision
als Freiwillige zur Koordination des Patenschaftsprogramms der Organisation
ausgewählt. «Manchmal arbeiteten wir gemeinsam auf dem Bauernhof von anderen
Leuten», erinnert sich Marcella. «Sie beschuldigte mich nicht, sie schaute mich
auch nicht schief von der Seite an. Aber der Hass zwischen unseren Männern
hielt uns auf Distanz.»
Für Madrine war es
zunächst sehr schwierig, mit Marcella zusammenzuarbeiten. «Am Anfang hasste ich
sie für das, was ihr Mann getan hatte. Aber nach Schulungen und nach dem, was
ich in der Kirche hörte, kam ich wieder zur Besinnung.» Ja, Andrew und Madrine
hatten begonnen, die Dorfkirche zu besuchen und auch Marcella ging dort hin.
Bald begann Madrine, Marcella mit Essen zu versorgen und sich um die jüngere
Frau und ihre Kinder zu kümmern.
Veränderung im Gefängnis
Währenddessen lernte
Callixte nach fünf Jahren Haft Jesus kennen. Er bereute alles, was er getan
hatte. «Ich entschied mich, für meine Kriminaltaten um Vergebung zu bitten»,
berichtet Callixte. «Ich erzählte vor Gericht von den Dingen und gestand
alles.» Er begann, Gitarren zu bauen und Lieder zu komponieren, die von seiner
Reue und Veränderung handelten. Durch seinen Einfluss im Gefängnis und die
Lieder, die er sang, kamen etwa 8'600 Häftlinge ebenfalls zum Glauben an Jesus.
Überall, wo er hinkam, sprach er über Frieden und Versöhnung. Durch seinen
positiven Einfluss wurde er bereits nach zwölf Jahren Haft frühzeitig entlassen.
Versöhnung durch Gottes Wirken
Als allererstes suchte er
Andrew und Madrine auf und bat sie um Vergebung. Auch er begann, in die Kirche
zu gehen. «Eines Tages waren wir alle im selben Gottesdienst», erinnert sich
Marcella. «Es war, als würde der Pastor zu uns persönlich reden. Er konnte
direkt in unsere Herzen sehen. Nach dem Gottesdienst sagten wir zueinander: 'Wir müssen miteinander reden!'» Das war im Jahr 2010. «Seither sind wir uns
wieder nahe!»
Eine gemeinsame Zukunft
Heute sind der mittlerweile
55-jährige Andrew und der 47-jährige Callixte wieder Freunde. Andrew predigt in
der Gemeinde, Callixte liest die Bibeltexte vor. Unter der Woche arbeiten sie im
gemeinsamen Geschäft und besuchen Gefangene, die seit dem Genozid in Haft sind,
um mit ihnen über Versöhnung zu reden. Ihre Kinder spielen wieder miteinander.
«Unsere Kinder haben erlebt, wie wir uns verändert haben», erklärt Madrine. Ihre
Tochter wird bald Callixtes und Marcellas Sohn heiraten. «Wir haben die
Hoffnung auf eine bessere Zukunft und wir wollen sie gemeinsam erreichen»,
freut sich Callixte.
Doch beide Familien
wissen, dass dies nicht aus ihnen selbst gekommen ist. «Gott hat das gemacht»,
bezeugt Marcella. «Aus menschlicher Kraft wäre das nicht möglich gewesen.»